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02.12.2022

Zweite juristische Staatsprüfung: Datenschutzrecht gibt Anspruch auf unentgeltliche Kopien von Prüfungsarbeiten

Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung haben gemäß Artikel 15 Absatz 1 und Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 12 Absatz 5 Satz 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen Anspruch darauf, dass ihnen das Landesjustizprüfungsamt unentgeltlich eine Kopie der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten mitsamt den zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung stellt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.

Nachdem der Kläger im Jahr 2018 die zweite juristische Staatsprüfung vor dem Landesjustizprüfungsamt des beklagten Landes Nordrhein-Westfalen bestanden hatte, verlangte er von dem Amt unter Berufung auf die datenschutzrechtlichen Vorschriften, ihm unentgeltlich eine Kopie der von ihm angefertigten Aufsichtsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten zur Verfügung zu stellen. Das Landesjustizprüfungsamt war zu einer Übermittlung der Kopien nur gegen Erstattung der nach dem Landeskostenrecht berechneten Kosten in Höhe von 69,70 Euro bereit und lehnte den Antrag des Klägers ab.

Der von dem Kläger hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen statt. Die vom Land hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision des Landes Nordrhein-Westfalen ist vor dem BVerwG erfolglos geblieben.

Nach Artikel 15 Absatz 1 DSGVO habe die betroffene Person unter anderem das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten. Gemäß Artikel 15 Absatz 3 Satz 1 DSGVO könne sie von dem Verantwortlichen die Überlassung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, verlangen. Aus Artikel 12 Absatz 5 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 3 Satz 2 DSGVO ergibt sich laut BVerwG, dass die erste derartige Kopie unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden muss.

Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei seit 2017 geklärt, dass die schriftlichen Prüfungsleistungen in einer berufsbezogenen Prüfung und die Anmerkungen der Prüfer dazu wegen der in ihnen jeweils enthaltenen Informationen über den Prüfling insgesamt – das heißt letztlich Wort für Wort – personenbezogene Daten des Prüflings darstellen. Macht in diesen Fällen der betroffene Prüfling das Recht auf Erhalt einer unentgeltlichen ersten Datenkopie geltend, müsse das Prüfungsamt eine vollständige Kopie der schriftlichen Prüfungsarbeiten und der zugehörigen Prüfergutachten unentgeltlich zur Verfügung stellen.

Dies gelte nicht nur nach einem weiten Normverständnis, nach dem das Recht auf eine Datenkopie stets die Überlassung einer Reproduktion der Daten in der bei dem Verantwortlichen vorliegenden Form umfasst. Nichts Anderes folge aus einem engeren Interpretationsansatz, nach dem grundsätzlich nur ein Anspruch auf die Zurverfügungstellung der aus dem jeweiligen Verarbeitungszusammenhang extrahierten personenbezogenen Daten oder auch nur einer strukturierten Zusammenfassung dieser Daten besteht. Denn ein solches Vorgehen sei bei Prüfungsarbeiten nicht möglich. Deshalb habe das BVerwG von einer Vorlage der Frage an den EuGH abgesehen, welcher Auffassung zu folgen ist.

Dem von dem Kläger geltend gemachten Anspruch stehen laut BVerwG keine Ausschlussgründe nach der DSGVO entgegen. Insbesondere handele es sich nicht um einen exzessiven Antrag im Sinne des Artikels 12 Absatz 5 Satz 2 DSGVO. Der Umfang, den seine Bearbeitung nach den tatsächlichen Feststellungen des OVG bei dem Landesjustizprüfungsamt verursacht, sei als vergleichsweise gering zu beurteilen. Der Anspruch beziehe sich vorliegend auf acht Klausuren mit insgesamt 348 Seiten. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Anspruchsverfolgung habe das OVG zu Recht verneint. Es habe ferner festgestellt, dass der fristgebundene Einsichtsanspruch nach dem nordrhein-westfälischen Juristenausbildungsgesetz den datenschutzrechtlichen Anspruch unberührt lässt. An diese Auslegung des Landesrechts sei das BVerwG gebunden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.11.2022, BVerwG 6 C 10.21